Der imposante Beton-Koloss mit Natursteinfassade sticht bereits von weitem aus den umliegenden Gebäuden der Hochstraße heraus und zieht trotz oder gerade wegen seiner reduzierten Form die Aufmerksamkeit auf sich.
Ein Muss für alle Freunde moderner Architektur
Die Architektur und der Sammlungsaufbau folgen einem klaren und spannenden Konzept. Die massiven Betonwände schotten die Sammlung gewissermaßen nach außen hin ab, wodurch der Fokus auf die innere Sammlung gezogen wird. Gleichzeitig brechen großzügige Glasfassaden den unteren Teil auf und animieren einen regelrecht dazu, das Gebäude ringsherum zu erkunden. Dabei entfalten bspw. am seitlichen Treppenaufgang die konträren Spiegelungen des vegetativen Umfelds in der Glasfront ihre volle Pracht. An der Rückseite lässt sich zudem eine weitere architektonische Finesse beobachten: die robuste Fassade wird hier durch eine vertikale Glaseinlassung buchstäblich aufgebrochen, die sich wie ein Riss über alle Etagen erstreckt.
Und damit beginnt auch schon unsere Reise durch die Ausstellung, die von oben nach unten durchlaufen wird. Im obersten Stock angekommen, gibt der eben besagte "Riss" einen eindrucksvollen Ausblick in Richtung Innenstadt samt Frauenkirche frei.
Die Sudetendeutschen – Geschichte, Kultur und Brauchtum
Wer oder was sind Sudetendeutsche – Stamm, Volksgruppe, Nation? Der Begriffsursprung geht auf den Gebirgszug der Sudeten zurück, der im Norden des heutigen Tschechiens die historischen Länder Böhmen, Mähren und Schlesien miteinander verbindet. Vormals auch als "Deutsche aus den böhmischen Ländern" bezeichnet, begann sich Ende des 19. Jh. der Sammelbegriff "Sudetendeutsche" einzubürgern.
Gleich zu Beginn führen Stimmen mit markanter mundartlicher Einfärbung über Lautsprecher gewissermaßen in die Ausstellung ein. Dabei geben die kontinuierlich wechselnden Erzählsequenzen sudetendeutscher Frauen und Männer auch einen ersten Eindruck über die Vielfalt der damaligen Dialekte. Und dann taucht man auch schon ab in die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Sudetengebiete, die hier anhand kulturhistorischer Ausstellungsstücke aus den Sudetenregionen vor einem ausgebreitet wird.
So finden sich hier neben einer traditionellen Halskrause, einem Replikat der Goldenen Bulle (bzw. dessen goldenen Siegels) und einer Weihnachtskrippe aus Königsberg an der Eger auch eine beeindrucke Sammlung an Landschaftsgemälden, die in ihrer Vielseitigkeit einen wunderbaren Eindruck der dortigen Gegend vermitteln.
Museum inklusiv!
Das Museum ist barrierefrei zugänglich und bietet darüber hinaus auch taktile Leitspuren sowie Tast- und Hörstationen. Die Texte sind auf deutsch, tschechisch sowie englisch und werden im Media Guide auch in deutscher Gebärdensprache angeboten. Auch in Sachen Technik wartet das Museum mit einer Fülle an Medienstationen auf. Hier könnt ihr nach Lust und Laune interaktiv mehr über Geografie, Geschichte sowie Sprache und Dialekte erfahren.
Wie haben Sudetendeutsche gelebt? Was gab es für Bräuche und Sitten? An einer Hörstation erfahrt ihr es gewissermaßen aus erster Hand! Hier könnt ihr u. a. einem Zeitzeugen lauschen, der euch mit viel Witz und Eifer alles rund um eine traditionelle Hochzeit berichtet.
Schaffenskraft und Erfindergeist
Nicht nur Gartenzwerge wurden im Sudetenland hergestellt – von Kunert-Strümpfen über Pilsner Bier bis hin zum Böhmerland-Motorrad: die Wirtschaftszweige in der Sudetenregion waren unglaublich vielseitig. Hier entstand u.a. das längste Serien-Motorrad der Welt, auf dem mit 3,20 m Länge drei ausgewachsene Personen ausreichend Platz finden! Darüber hinaus war die Keramik-, Porzellan- und Glasware aus Sudetendeutschland weltweit gefragt. In der Ausstellung finden sich aber auch Beispiele aus der Holz-, Perlen- und Schmuckindustrie, aus dem Bergbau, der Forstwirtschaft und vieles mehr...!
Nationalismus und Nationalstaat
Im darauffolgenden Ausstellungsabschnitt werden die Ereignisse, die der Vertreibung der angestammten deutschen Bevölkerung vorausgingen, in chronologischer Reihenfolge präsentiert: beiderseitig wachsende nationalistische Bestrebungen, der Zerfall der Habsburger-Monarchie, die Gründung der Tschechoslowakischen Republik, der Anschluss an das Dritte Reich, die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten und schließlich die Katastrophe von Zweitem Weltkrieg und Vertreibung.
Verlust und Vertreibung
Sehr eindrücklich schildern hier in Form von Audioaufnahmen Betroffene ihre traumatischen Erlebnisse auf der Flucht. Der enge abgedunkelte Raum, die in der Mitte aufgetürmten Gegenstände, welche die Vertriebenen auf ihrer Flucht bei sich führten sowie die Bildprojektionen an den Wänden, welche die Vertreibung visuell dokumentieren, erzeugen dabei unweigerlich eine beklemmende Atmosphäre. Über eine halbe Millionen Sudetendeutsche wurden bereits vor dem Potsdamer Entschluss zur "ordnungsgemäßen Überführung" entrechtet, ausgebürgert und enteignet sowie schließlich gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben. Im Laufe des Jahres 1946 erfolgte die Vertreibung von weiteren 2,2 Millionen Sudetendeutschen in Vieh- und Güterwaggons, auf Schiffen und mit Lastkraftwagen. Insgesamt mussten mindestens drei Millionen Sudetendeutsche ihre Heimat verlassen. Zehntausende wurden dabei ermordet oder kamen durch Hunger, Seuchen oder Selbstmord ums Leben.
Nachkriegszeit und Neubeginn
Der erlebte gewaltsame Heimatverlust traumatisierte die Sudentendeutschen nachhaltig. Zudem gestaltete sich die Aufnahme im Nachkriegsdeutschland schwierig. Trotz der Hoffnung auf eine mögliche Rückkehr in die alte Heimat, konnten sie sich aufgrund ihres guten Ausbildungsstandes in der Regel eine neue Existenz aufbauen und sich relativ schnell integrieren.
Dabei hielten viele ihre tiefe Verbundenheit zu ihrer Heimatregion im Rahmen der Möglichkeiten aufrecht. Der Fall des Eisernen Vorhangs führte zur Intensivierung der erneuten Annäherung von Sudetendeutschen und Tschechen. Die Verbindung über die Europäische Union fördert den gemeinsamen Dialog für mehr Verantwortung für das gemeinsame Land und kulturelle Erbe, wobei Sudetendeutsche oftmals als Brückenbauer fungieren.
Dieser Austausch kann auch symbolischer Natur sein, wie beim seit 2015 stattfindenden Brünner Versöhnungsmarsch, welcher der Opfer des Brünner Todesmarsches vom Mai 1945 gedenkt. Auf den Spuren der Vertriebenen begehen hunderte Deutsche, Österreicher und Tschechen jedes Jahr gemeinsam ein 32 Kilometer langes Teilstück der historischen Wegstrecke in umgekehrter Richtung, vom Massengrab in Pohořelice/Pohrlitz nach Brno/Brünn.
Der letzte Ausstellungsbereich mündet in einen lichtdurchfluteten Raum und so findet man sich schlussendlich wieder an dem Punkt im Museum verortet, an welchem man darüber auf der obersten Etage seinen Ausstellungsbesuch begonnen hat. Dieser offene Bereich mit einladenden Sitzgelegenheiten versinnbildlicht nicht nur einen Lichtblick, sondern verkörpert auch den Anspruch des Museums, ein Ort der Begegnung, des Austausches und der Erinnerung zu sein.