Jugendstiltour durch Schwabing
Zopfmuster, Riffelputz, bunte Ranken, Pfauen, Schwäne, ägyptische Ornamente und florale Stuckgirlanden: 859 Jugendstilgebäude stehen noch in München, verteilt über die Stadt - vor allem am Harras, in Neuhausen, um das Prinzregententheater und in West-Schwabing. Es lohnt sich definitiv nach oben zu schauen, wenn ihr spazieren geht und die Fassaden genauer zu betrachten!
Organisch, geometrisch, assymetrisch
Die Jugendstil-Architektur zeichnete sich durch fließende, geschwungene Linien und organische Formen aus, die von der Natur inspiriert waren. Elemente, die sich sowohl in der Fassadengestaltung als auch in den Innenräumen wiederfinden. Florale Motive, Tier- und Fabelwesendarstellungen sowie geometrische Muster sind wesentliche Bestandteile.
Die Ornamente wurden oft in Sandstein gearbeitet und verliehen den Gebäuden einen romantischen, teils verspielten Charakter. Innovative Materialien wie Glas und Eisen wurden ebenfalls eingesetzt, um die angestrebte Leichtigkeit und Eleganz zu erreichen. Die Architekten strebten danach, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, bei denen Außenfassade, Inneneinrichtung und Ausstattung wie aus einem Guss wirkten.
Auch Wassily Kandinsky wohnte in West-Schwabing, im Rückgebäude in der Ainmiller Str. 36. Ab 1901 unterrichtete er in seiner Malschule in München und lernte dort auch Gabriele Münter kennen. Die neue Aufbruchstimmung um die Jahrhundertwende inspirierte ihn zu seiner Schrift “Über das Geistige in der Kunst”, die für die Entwicklung der abstrakten Malerei von entscheidender Bedeutung war.
Natürlich schön
Adam und Eva liegen ganz entspannt auf dem Bauch im Paradies und lächeln sich an. Frauen mit Blüten im Haar, Hasen, Fische und andere Tiere zieren die Fassaden und der Narziss mit Stirnband und Locke betrachtet sich selbstverliebt im Spiegel…. Modern, menschlich, funktional und doch formschön, so sah das Kunstideal vor etwa 120 Jahren aus. Seit den Neunziger Jahren erstrahlen die Fassaden wieder in leuchtenden Farben, nachdem sie sich Jahrzehnte lang mausgrau präsentierten.
Unser Tipp: Lust auf eine Jugendstil-Tour? Wir waren mit Gästeführer Max Richter in Schwabing unterwegs, Infos unter max.richter@t-online.de.
Die Erlöserkirche an der Münchner Freiheit
Schon von weitem ist sie gut sichtbar: Die Erlöserkirche an der Münchner Freiheit prägt mit ihrem freistehenden Campanile das Stadtbild. Sie ist die erste evangelische Kirche Schwabings und die einzige erhaltene Jugendstil-Kirche Münchens. Sie auch innen anzusehen, lohnte sich unbedingt: Erbaut wurde sie 1901, als Schwabing noch ein Dorf war. An der Stelle der Kirche war damals noch eine Kiesgrube, ringsherum lagen Bauernhöfe. Der Architekt Theodor Fischer errichtete eine klassische Basilika, an der sich zahlreiche Jugendstilmerkmale finden, außerdem auch Eigenschaften ländlicher Dorfarchitektur und Elemente des Historismus.
Namhafte Künstler wie Thomas Mann, Wassily Kandinsky und Paul Klee wohnten in der Nähe - genauso wie Architekt Theodor Fischer selbst. Die Kapitelle, Friese und Bildhauerarbeiten wurden überwiegend durch Ernst Neumeister ausgeführt. Josef Hellich bemalte die Wände und die Holzdecke. Den Freskenzyklus in der Apsis schuf Linda Kögel 1904. Die Bibelszenen wurden übermalt und überstanden dadurch den Zweiten Weltkrieg fast unbeschadet.
#GLAMinstawalk Jugendstil in München
Der vierte #GLAMInstaWalk am 7. November 2024 führte uns gleich in zwei Ausstellungen: in die Kunsthalle München, in Kooperation mit dem Münchner Stadtmuseum, und in das Deutsche Theatermuseum.
Die Walks sind eine gemeinsame Initiative der Münchner Kulturhäuser und Gedenkstätten. Gemeinsam werden aktuelle Ausstellungen und Projekte erkundet und zeitgleich auf den Instagram-Kanälen präsentiert.
Also schaut doch mal nach, was die anderen posten:
#Erinnerungskultur #MStMStayConnected #JugendstilMuc
Jugendstil. Made in Munich
in der Kunsthalle München, bis 23. März 2025
Frei, poppig bunt, unkonventionell: Um 1900 traten junge visionäre Kunstschaffende in München dazu an, die Kunst zu revolutionieren und das Leben zu reformieren. Richard Riemerschmid, Hermann Obrist, August Endell oder Margarethe von Brauchitsch wandten sich von historischen Vorbildern ab, um zu einer neuen Kunst zu finden, die das Leben bis ins kleinste Detail durchdringen sollte - vom Gebäude bis zum Teppich, vom Gemälde bis zum Stuhl. Ihre Ideen und Entwürfe bilden die Grundlage für die Kunst und das Design der Moderne.
Eine einzigartige Gelegenheit: die über 400 Objekten aus Malerei, Grafik, Skulptur, Fotografie, Design und Mode kommen hauptsächlich aus den Sammlungen und Depots des momentan geschlossenen Münchner Stadtmuseums.
“Der Peitschenhieb”, eine dynamische gestickte goldene Arabeske auf grauem Grund von Herrmann Obrist, war seit Jahren nicht mehr zu sehen. Nun trifft das Original auf den japanisierenden Schwanenteppich von Otto Eckmann, das nachgebaute Unterwasserwelten-Entrée des Foto-Ateliers Elvira, wo die Frauenbewegung in München ihren Anfang nahm und den Violonisten-Stuhl von Riemerschmid.
Ohne Korsett - die Jugendstil-Künstlerinnen
Margarethe von Brauchtisch, Wera von Bartels oder Gertraud von Schnellenbühel, die aus Jena nach München kam, sind in der Ausstellung mit ihren Werken vertreten. Frauen spielten eine entscheidende Rolle beim Jugendstil “made in Munich”. Die Schauspielerinnen Maja Reubke und Ida Hofmann waren mutige Mode-Vorreiterinnen, trugen die „Reformkleider“ – endlich ohne Korsett - eine wahre Befreiung für die Frauen.
1895 heiratete Ida Hofmann den Jugendstil-Künstler Richard Riemerschmid. Zur Eröffnung des von ihm ausgestatteten Schauspielhauses hatte er ihr ein passendes, beerenfarbenes Kleid nähen lassen - so wurde sie zum Teil seines Gesamtkunstwerks.
Die Feministin Anita Augspurg gründete 1894 die „Gesellschaft für geistige Interessen der Frau“, die sich in den folgenden Jahren zur Keimzelle der bürgerlichen Frauenbewegung in Bayern entwickelte. Als Wohnort wählte sie München, weil die Stadt damals als die geistig freieste und vorurteilsfreieste unter den deutschen Großstädten galt. Zusammen mit ihrer Lebensgefährtin, der Fotografin Sophia Goudstikker, bezog sie 1898 den Neubau des Foto-Ateliers Elvira in der Von-der-Tann-Straße - mit ihrer geschwungenen Fassadendeko, halb Fisch, halb Drache, war das Atelier eines der kühnsten und bedeutendsten Bauwerke des Jugendstils, vom jungen August Endell gestaltet. Die Fassade wurde 1933 von den Nazis abgeschlagen und das Haus 1937 nach einem Brand abgerissen. Für die Ausstellung in der Kunsthalle wurden der lila Drache sowie auch das Foyer des Ateliers im Unterwasser-Look nachempfunden.
#Jugendstilkünstlerinnen
Kunst und Bühne - Spielorte des Münchner Jugendstils
im Deutschen Theatermuseum in München, bis 23. März 2025
Die Jahrhundertwende markiert einen Umbruch in der Theaterästhetik: Quer durch die künstlerischen Disziplinen werden die Stimmen nach einer Reform der Bühnenkunst lauter. Der rasante Wandel um 1900 verändert Sehgewohnheiten und Raumerfahrung. Der Anspruch einer exakten Nachbildung der Wirklichkeit auf der Bühne entspricht nicht mehr dem Zeitgeist.
Unter dem Einfluss der Jugendstil-Bewegung entwickelt sich München zu einem Zentrum der Theaterreform. Künstler wie Richard Riemerschmid, Fritz Erler und Thomas Theodor Heine befeuern den Diskurs der Bühnen-Erneuerer. Stilbildend für den Aufbruch in die Moderne erweist sich das 1908 eröffnete Münchner Künstler-Theater auf der Theresienhöhe, eine einzigartige Reliefbühne, die aus der Zusammenarbeit einer jungen Künstlergeneration mit dem erfahrenen Architekten Max Littmann entsteht. Vorhang auf!
Das Prinzregententheater und die Kammerspiele
Das Schauspielhaus, heute die Münchner Kammerspiele (externer Link, öffnet neues Fenster), sind eine der seltenen Gelegenheiten, den Münchner Jugendstil noch immer an Ort und Stelle zu erleben: 1926 erfolgte der Umzug in das 1901 fertiggestellte Gebäude in der Maximilianstraße in München. Der Architekt Max Littmann arbeitete mit Richard Riemerschmid zusammen, der mit der Innenausstattung beauftragt wurde. Sogar der Vorhang von Margarethe von Brauchitsch ist noch im Original erhalten.
Das Prinzregententheater (externer Link, öffnet neues Fenster)auf den grünen Hügeln Bogenhausens war zunächst als reines Festspiel-Haus und Open-Air-Bühne für den Sommer mit Park und Garten geplant. Auch dieser Neubau wurde von Max Littmann entworfen. Das Richard-Wagner-Festspielhaus in Bayreuth inspirierte ihn zu einem im Halbrund angelegten Amphitheater. Es wurde ebenfalls 1901 eröffnet und 1996 nach Umbauarbeiten wieder in den Originalzustand zurück versetzt.
Ein Schatz: die Kostümbibliothek von Parish
In der Villenkolonie in Nymphenburg, unweit des Schlosses, wird die “Kostümbibliothek” von Hermine von Parish aufbewahrt. Die Jugendstil-Elemente, die Vertäfelungen, Stoffe und Kacheln geben sich hier eher ländlich-rustikal. Denn 1900 und 1901, als die Baufirma Gebrüder Rank das Haus für Wilhelm Friedrich von Schirach entwarfen, war die Stadt noch weit weg.
Im Wohnzimmer und Musiksalon veranstaltete der Komponist von Schirach Hauskonzerte.
Geradezu manisch sammelte und katalogisierte Hermine, die das Haus 1916 übernahm und bis 1998 darin lebte, Zeichnungen, Skizzen, bildliche Darstellungen und Texte zur Bekleidung und Mode aus allen Epochen und Ländern. Ihre Mutter (die ebenfalls Hermine hieß) und sie stapelten 1,5 Millionen Blätter und Modefotografien in Schachteln und Kartons - von steinzeitlichen Fertigungsverfahren bis zur aktuellen Laufsteg- oder Alltagsmode. Von Haute Couture bis Sportbekleidung, von Volkstrachten bis Accessoires.
Die Von Parish Kostümbibliothek (externer Link, öffnet neues Fenster) mit ihren fünf Sammlungsbereichen – Bücher und Zeitschriften, Grafik, Fotografie und Dokumentation – ist nicht nur eine der vielfältigsten Kollektionen des Münchner Stadtmuseums (derzeit wegen Sanierung geschlossen), sondern zählt auch international zu den bedeutendsten Spezialbibliotheken für Kostümgeschichte, von denen es weltweit nur rund 20 gibt.
Auch das umfassende Familienarchiv der Vorfahren von Hermine von Parish wird hier im Keller verwahrt. Es reicht bis in die 1830er Jahre zurück und enthält Dokumente und Fotografien zu namhaften Personen der Zeitgeschichte und den künstlerischen Nachlass ihres Großvaters, des Malers Emanuel Spitzer.
Nach aufwendiger Sanierung wurde die Villa in den Originalzustand von 1901 zurückversetzt. Das Haus ist nun für Besucher und Besucherinnen geöffnet. Die monatlichen Führungen sind immer schnell ausgebucht.
Film- und Theaterschaffende, Modestudierende und Designer, Kostümbildner und Kunstgeschichtlerinnen, Ausstellungskuratoren und Kuratorinnen können die Von Parish Kostümbibliothek nach Anmeldung zu Forschungszwecken besuchen.
Führungen zwei- drei Mal im Monat, Infos und Tickets im Online-Shop Münchner Stadtmuseum (externer Link, öffnet neues Fenster).
Alles neu, alles in Bewegung
Die Jugendstil-Bewegung, die um 1900 ihren Höhepunkt erreichte, dauerte nur 18 Jahre an. Als der Erste Weltkrieg 1914 ausbrach und auch nach dem Krieg hatten die Menschen andere Sorgen.
Inspiration war die Natur: Organische Formen und florale Muster wurden oft abstrahiert oder stilisiert, um elegante und geschwungene Linien zu schaffen. Ein zentrales Ziel des Jugendstils war es, Kunst und Ästhetik in den Alltag der Menschen zu integrieren und eine harmonische Verbindung von Funktionalität und Ästhetik zu erreichen.
Es entstanden Gesamtkunstwerke aus hochwertigen Materialien wie Glas, Keramik und Eisen, die Architektur, Kunsthandwerk und Design vereinten.
Als Reaktion auf die Industrialisierung und die damit verbundene Massenproduktion strebten die Jugendstil-Künstlerinnen und Künstler danach, das traditionelle Handwerk zu bewahren und gleichzeitig eine neue Formsprache zu schaffen.
Die Bewegung war international verbreitet und manifestierte sich in verschiedenen Ländern unter unterschiedlichen Namen wie "Art Nouveau" in Frankreich, “Modernisme” in Spanien, “Liberty” in Italien oder der "Arts and Crafts"-Bewegung in Großbritannien.
Überraschend aktuell: viele der damals diskutierten Lebensfragen beschäftigen uns auch heute wieder, ähnlich wie damals zur Jahrhundertwende. Wie gelingt ein Leben mit und nicht gegen die Natur? Wie können wir die Welt, in der wir leben und von der wir ein Teil sind, besser schützen? Wie kann Fortschritt nachhaltig gelingen? Wo sind die Grenzen der Industrialisierung? Wie kann man neue Technologien intelligent einsetzen?
Nathalie Schwaiger und Lena Groenewald