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Einhornpulver auf Rezept - das Apothekenmuseum in Weißenburg

Marsala-Wein gegen Schwäche, Opium gegen Durchfall, Anarcadia-Elefantenläuse gegen Zahnschmerzen, Teufelsdreck aus Indien gegen Hysterie und Einhorn-Pulver als Aphrodisiakum... Kommt mit uns auf eine Zeitreise in das Apothekenmuseum in Weißenburg, als es in der "Offizin" noch nach Kamille, Baldrian und Wacholder roch und die "Pillendreher" oder "Giftmischer" geheimnisvolle Tränke, Räuchermittel und Breiumschläge zubereiteten...

Wir steigen in den historischen Arzneikeller hinab...

"Vorsicht, Köpfe einziehen!", warnt Almut Binkert, als wir die steile Treppe in den Gewölbekeller hinabsteigen. Hier haben sie und ihr Mann Artur seit 1979 liebevoll ein kleines Apothekenmuseum eingerichtet und mit zahlreichen Objekten aus dem Fundus der Einhorn-Apotheke bestückt.

Magisch blau leuchtet im ehemaligen Arzneikeller eines von zahlreichen Fabeltieren, die das Haus hüten. "Das haben wir unserer Tochter, einer leidenschaftlichen Einhorn-Sammlerin, geschenkt, als sie 1997 die Apotheke übernommen hat", erzählt Frau Binkert.
Das Horn des Zaubertiers wurde bis ins 17. Jahrhundert als Wunder- und Potenzmittelchen verkauft. "Tatsächlich war es gemahlener Narwalzahn oder auch Knochenmehl, was da für sehr viel Geld über die Theke ging und angeblich gegen alles und nichts half", lacht sie.

"Es hat nie eine Zeit ohne Einhörner gegeben. Wir leben für immer. Wir sind so alt wie der Himmel, so alt wie der Mond." Zitat aus dem Film "Das letzte Einhorn", 1982

Das Fabeltier gab vielen Apotheken seinen Namen - so auch im hübschen Weißenburg

Die Einhorn-Apotheke im mittelfränkischen Weißenburg blickt auf eine über 350-jährige Tradition. Im Erdgeschoss des schmucken spätbarocken „Blauen Hauses“ betreibt Tochter Katrin Binkert die moderne Apotheke und verkauft dort auch noch die bewährte Limes-Fettcreme (natürlich mit Einhorn-Logo). In der historischen "Offizin" im Keller hingegen treffen wir noch die fast vollständige Einrichtung des berühmten Apothekers und Limesforschers Wilhelm Fürchtegott Kohl (1848–1898). Kohl studierte in München Pharmazie, erwarb 1879 die Apotheke und war außerdem ehrenamtlicher Grabungsleiter und "Streckenkommissar" für einen insgesamt 52 Kilometer langen Limesabschnitt. Sein größter Erfolg: die Entdeckung und Ausgrabung der Limes-Pfähle und Palisadenstufen bei Mönchsroth.

"Mensch, lerne, lerne, frage, frage und schäme Dich nicht, zu lernen und zu fragen". Paracelsus

Die Einrichtung, Tiegel, Tuben und alten Schubladenschränke aus der Zeit nach 1882 sind noch fast vollständig erhalten: Salbenrührschalen, Schmelztiegel, Pulverreibschalen, Mörser und Salbentöpfe. Feine Präzisions- und Rezepturwaagen. Zäpfchengießformen, Tinkturenpressen und Koliervierecken. Pillenmörser und Pillenbrett, die dem Apotheker seinen Spitznamen "Pillendreher" einbrachten. Außerdem Destillierkolben, ein Tubenabfüllgerät, eine Tablettenpressmaschine, Etiketten, Faksimiles von historischen Dokumenten und ein kompletter Homöopathischer Koffer von 1755. "Die deutsche Gesellschaft für Homöopathie wollte ihn uns schon abkaufen", verrät Frau Binkert. Ein weiteres besonders wertvolles Stück ist das Manual (Rezeptbündel) aus dem späten 19. Jahrhundert, in dem unterschiedlichste Rezepturen zusammengefasst sind.

"Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist."Paracelsus

Im ersten Stock neu eingerichtet wurde die „Historische Kräuterkammer“. Es duftet nach Kamille, Lavendel und Lindenblüten. In Schubladen und Regalen lagern Mineralien und Harze wie der übelriechende Teufelsdreck aus Indien. Auf dem Kräuterhackbrett, in der Häckselmaschine oder im Mörser wurden die Heilpflanzen verarbeitet. Almut Binkert zeigt uns eine 400 Euro teure Ginsengwurzel und den Fungus Chirurgorum, einen schwärzlichen, schwammartigen Pilz, der in Männerurin eingelegt wurde, um Wunden zu versorgen - auch der berühmte "Ötzi", die Mumie aus dem Eis, trug so ein "Natur-Pflaster" bei sich.
"Im Fehlboden haben wir säckeweise versteckte Kräuter, Apparate und Rezeptbücher entdeckt. Fast wären sie weggeworfen worden, denn nach dem Krieg wollte keiner mehr Kräuter kaufen. Erst heute mit der grünen Welle sind sie wieder sehr gefragt", berichtet die Kräuter-Expertin. Ihr Mann und sie erkannten den unschätzbaren Wert der Fundstücke und richteten die Kohl'sche-Stiftung ein, um dieses wertvolle pharmazeutische Erbe zu bewahren.

"Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker

Wilhelm Kohl versuchte sich auch als Brause- und Mineralwasserfabrikant. "Eine Flasche Himbeer- oder Waldmeisterlimonade kostete 1894 acht Pfennig, das waren noch faire Preise" , weiß Almut Binkert augenzwinkernd. Sie wurde in schicke Kugelflaschen abgefüllt, die die Kohlensäure perfekt einschlossen und mit dem Pferdefuhrwerk an Gaststätten und Privatpersonen ausgefahren. "Die Flaschen sind inzwischen Sammlerobjekte", fügt die Hüterin der Einhorn-Schätze hinzu.

Almut und ihr Mann Artur sammelten gemeinsam leidenschaftlich Pflanzen und Kräuter: "Ein Hobby, das uns immer verbunden hat." Ihre Begeisterung und ihr großes Wissen gibt Almut Binkert nun auf ihren wunderbaren Führungen weiter.

Apothekenmuseum Weißenburg, (externer Link, öffnet neues Fenster)Stiftung Kohl'sche Einhorn-Apotheke, Mo, Di, Do, Fr um 11.00 Uhr und 14.30 Uhr, Mi u. Sa um 11.00 Uhr. Besichtigung nur mit Führung. Gruppen nur nach vorheriger Anmeldung.

Abb. ganz oben: der homöopathische Original-Koffer von 1755, noch komplett bestückt, ist eine von vielen Raritäten.

Nathalie Schwaiger