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Gekauft! Unterfranken handelt

Bionade aus der Rhön, Wein vom Juliusspital, Gips von Knauf – von diesen unterfränkischen Produkten habt ihr sicher schon einmal gehört. Viele große Unternehmen in Unterfranken blicken auf eine lange Tradition zurück. Aber es sind nicht nur große Betriebe, die eine spannende Geschichte zu erzählen haben! Kennt ihr auch den Laden „Bei Mustafa“ (externer Link, öffnet neues Fenster), der bereits seit Jahren das Würzburger Frauenland mit Obst und Gemüse versorgt? Den „Markt Sonnenschein“, der sich wacker gegen die wachsende Konkurrenz durch Supermarktfilialen in Würzburg behauptet? Oder den „Kiosk 76“ am Karlstädter Bahnhof, dessen Name sich von einer türkischen KFZ-Kennzeichnung ableitet? Von den Besitzerinnen und Besitzern dieser Läden möchte ich euch erzählen – und warum sie auch für unsere Ausstellung relevant sind.

Zwei Männer sitzen an einem Tisch, einer arbeitet mit einer Videokamera, der andere schreibt etwas auf.
Alexander Schütz (links) und Thomas Ludewig (rechts) beim Vorbereiten eines Interviews. © Bezirk Unterfranken

Anlässlich der neuen Wanderausstellung „Gekauft! Unterfranken handelt“ machten sich die Praktikanten Alexander Schütz und ich, Thomas Ludewig, im Frühjahr 2023 auf den Weg, um drei ganz unterschiedliche Menschen in Unterfranken zu interviewen. Die Ausstellung beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten der Themen Handel, Warenverkehr, Konsum und Verkauf in Unterfranken. Zu Letzterem wollten wir unseren Beitrag leisten, indem wir mit drei Händlerinnen und Händlern mit Migrationsgeschichte Gespräche führten und sie in der Ausstellung in kurzen Video-Interviews von ihrem Leben und ihren Erfahrungen als Handelstreibende in der Region erzählen lassen.

Bei Mustafa – Regional und herzlich!

Ein Mann steht vor einem Obst- und Gemüseregal, er blickt lächelnd in die Kamera.
Mustafa Al-Akhras vor seiner breiten Auswahl an regionalem Obst und Gemüse.

Unseren ersten Interviewpartner fanden wir mit Mustafa Al-Akhras, der in Würzburg in der Wittelsbacherstraße 8 das Geschäft „Bei Mustafa“ betreibt. Dort verkauft er Obst und Gemüse von überwiegend regionalen Bauernhöfen, Feinkost, Lebensmittel und Speisen – vor allem die selbstgemachten Dattelmuffins kann ich nur wärmstens empfehlen! Nachdem wir für unser Interview einen schönen Kamerawinkel direkt vor dem Obst- und Gemüseregal gefunden haben, begann uns Mustafa sehr offen über sein Leben als Händler zu erzählen. In Jordanien geboren, führte ihn sein Weg zuerst nach Russland, wo er Diplomelektroingenieur wurde, ehe es ihn nach Deutschland zog. Dort kam er eher zufällig mit dem Verkaufsgeschäft in Berührung und merkte schnell: Das ist sein Traum! Mustafa weiß aber auch viele Anekdoten aus seiner jahrelangen Arbeit als Händler in Unterfranken zu erzählen. Eine dreht sich um einen Porschefahrer und einen 99 Cent teuren Salatkopf. Wie die Geschichte allerdings weitergeht, möchte ich Mustafa nicht vorwegnehmen, der sie in der Ausstellung ohnehin viel lebhafter erzählen kann als ich!

Migrationsgeschichte vs. Migrationshintergrund

Wenn wir Menschen zu Wort kommen lassen wollen, dann müssen wir uns auch über unsere eigene Wortwahl Gedanken machen. Wir sprechen daher in unserer Ausstellung von Menschen mit Migrationsgeschichte, also von Menschen, die entweder selbst oder deren Vorfahren, z.B. Elternteile oder Großeltern, nach Deutschland eingewandert sind. Auf den Begriff des ‚Migrationshintergrundes‘ verzichten wir, da er stark in der Kritik steht. In seiner behördlichen Verwendung sagt er nichts über die Lebensrealität der betreffenden Menschen aus, die vielleicht selbst nach Deutschland eingewandert sind, oder aber vielleicht auch schon in der dritten oder vierten Generation hier leben. In seiner alltäglichen Verwendung wird er von vielen als zu negativ konnotiert abgelehnt. In unserer Ausstellung sollen sich aber alle Menschen willkommen führen, weswegen wir von dem weitgefassten Begriff der ‚Migrationsgeschichte‘ sprechen.

Markt Sonnenschein – der Name ist Programm!

Zwei Männer unterhalten sich an einem Stehtisch.
Vor dem Dreh verrät Viktor Becker (links) viel vom Alltagsleben eines Händlers. © Bezirk Unterfranken

Unser zweites Interview führte uns in den Würzburger Stadtteil Lindleinsmühle, genauer gesagt in die Frankenstraße 5, wo sich der „Markt Sonnenschein“ befindet. Dort werden vornehmlich osteuropäische Lebensmittel geführt – von Wurst und Konserven über Süßigkeiten bis hin zu Spirituosen. Der Name des Geschäfts trifft auch passend auf das Gemüt seiner beiden Betreiber, dem Ehepaar Viktor und Maria Becker zu. Am Anfang noch etwas nervös, stellte sich Viktor unseren Interviewfragen, während Maria ihm hinter der Kamera moralische Unterstützung leistete. Nach ein paar Anläufen kam Viktor dann schließlich in Plauderlaune: Maria und er sind vor über 20 Jahren aus Kasachstan nach Unterfranken gekommen. Sie bezeichnen sich selbst als Wolgadeutsche. So werden die Nachfahren von deutschen Auswanderern aus dem 18. Jahrhundert genannt, die sich an der Wolga im heutigen Russland ansiedelten. Im Zuge des 2. Weltkrieges wurden sie u.a. nach Kasachstan deportiert. Viktor lässt uns abseits der Kamera aber auch tief in seinen Handelsalltag blicken. So erzählt er, dass es vor einigen Jahren noch mehrere kleine Läden mit osteuropäischem Sortiment in Würzburg gab. Nachdem aber zunehmend Supermarktketten ähnliche Produkte anboten, verschwanden die kleinen Geschäfte nacheinander. Nur Viktors und Marias „Markt Sonnenschein“ hat die wachsende Konkurrenz überstanden.

Handel in Unterfranken ist bunt

Vielleicht fragt ihr euch an dieser Stelle, wieso wir eigentlich speziell mit Händlern und Händlerinnen mit Migrationsgeschichte gesprochen haben. Schaut euch einmal in einer unterfränkischen Stadt um. Ihr werdet viele Läden sehen, deren Namen oder Sortiment darauf verweisen, dass deren Inhaber und Inhaberinnen womöglich eine Migrationsgeschichte besitzen. Supermärkte, Geschäfte für Lebensmittel und Haushaltswaren, Shisha-Läden und Läden für Mobiliar und Teppiche. Ohne diese Läden und die Menschen, die sie begründet haben und betreiben, wäre unser unterfränkischer Handel nicht mehr zu denken. Wollen wir also die vielfältige Handelswelt Unterfrankens annähernd authentisch abbilden, dann gehören auch die Erfahrungen und Geschichten von Händlern und Händlerinnen mit Migrationsgeschichte dazu.

Kiosk 76 – ein Original aus Karscht!

Eine Frau wird vor ihrem Sortiment von einem Mann mit Videokamera gefilmt.
Die Vorbereitungen zum Dreh im Kiosk von Nuray Karakoyunlu (links). © Bezirk Unterfranken

Unseren dritten und letzten Besuch statteten wir Nuray Karakoyunlu in Karlstadt ab. Am Schnellertor 13, direkt am Bahnhof, führt sie ihren „Kiosk 76“. Für einen Kiosk typisch verkauft Nuray Magazine und Zeitschriften, Tabak und Kaffee und – als kleine Besonderheit – türkische Böreks. Nurays Vater gehörte zu den ersten türkischen Gastarbeitern, die nach Deutschland kamen. In einer Drehpause verrät sie uns, dass sie auch die erste Türkin gewesen sei, die in Karlstadt geboren wurde. Der Name ihres Ladens, „Kiosk 76“, spielt dabei auf den Herkunftsort ihrer Eltern an: Sie kommen aus einer Region im Osten der Türkei, die die 76 als staatliches KFZ-Kennzeichen führt. Mit ihrer offenen und herzlichen Art betreibt Nuray nun seit über 10 Jahren ihren Kiosk und hat eine loyale Kundschaft in Karscht – wie sie es mit seinem mainfränkischen Namen nennt – gewonnen, die ihr auch über die Pandemie hinweg die Treue gehalten hat.

Neugierig geworden?

Dann besucht doch einmal die Wanderausstellung „Gekauft! Unterfranken handelt“. Dort könnt ihr die Interviews mit Mustafa, Viktor und Nuray in voller Länge sehen! Doch nicht nur das findet ihr dort. Schon einmal von den selbstbedienbaren Lebensmittelläden gehört, die ohne jegliches Personal auskommen? Habt ihr euch schon immer gefragt, welche Ressourcen aus der Region kommen? Oder wusstet ihr, dass der Warenimport keine Erfindung der Moderne ist, sondern bereits in der Antike Muscheln vom Meer und Gewürze aus Indien ihren Weg nach Unterfranken gefunden haben? Interaktiv und inklusiv könnt ihr dieses und noch viel mehr zum Handel in Unterfranken erfahren!

Impressionen aus der aktuellen Ausstellung

 „Gekauft! Unterfranken handelt“ ist eine Wanderausstellung der Unterfränkischen Kulturstiftung des Bezirks Unterfranken (externer Link, öffnet neues Fenster) in Zusammenarbeit mit dem Museum für Franken. Sie ist vom 29. Juni bis 22. Oktober 2023 im Museum für Franken in Würzburg und ab 1. April 2024 in den Museen Schloss Aschach in Bad Bocklet/Aschach zu sehen. Wenn ihr auf dem Laufenden bleiben wollt, wo sich die Ausstellung derzeit befindet, könnt ihr auf der Website des Bezirks Unterfranken (externer Link, öffnet neues Fenster) nachlesen. Oder ihr folgt uns auf Instagram (externer Link, öffnet neues Fenster), wo sich auch Mustafa, Viktor und Nuray vor der Ausstellung noch einmal zu Wort melden werden!

Ausstellungen im Museum für Franken

Gastbeitrag von Thomas Ludewig. Er studiert Museumswissenschaften/Museum Studies und Klassische Archäologie im Master an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und war im Frühjahr 2023 Praktikant im Sachgebiet Museum des Bezirks Unterfranken.