Ein Gastbeitrag von Roxane Bicker/SMÄK München
Naga ist die südlichste Stadt des Königreichs von Meroë, des Nachbarn und mächtigen Rivalen des ptolemäischen und römischen Ägypten. Nordöstlich von Khartum, der Hauptstadt der Republik Sudan, ist Naga seit seiner Blütezeit von 200 v. Chr. bis 250 n. Chr. unberührt geblieben; damit bietet das einen Quadratkilometer große Ruinenareal optimale Bedingungen für archäologische Feldforschung. Als Subresidenz, als „Pfalz“ der meroitischen Königinnen und Könige war Naga eine prachtvolle Stadt; drei Tempel haben die Jahrtausende überlebt; Fünfzig weitere Tempel, Paläste und Verwaltungsgebäude, in großen Ruinenhügeln verborgen, warten ebenso auf ihre Ausgrabung wie die ausgedehnten Nekropolen mit Hunderten von Gräbern.
Afrikanische, ägyptische und hellenistische Komponenten des sehr reichen Fundmaterials an Architektur, Skulpturen und Reliefs machen Naga zu einem Zeugnis einer Kulturbrücke zwischen Afrika und der Welt des Mittelmeers.
Mit einem nachhaltigen Restaurierungsprogramm und mit dem Einsatz innovativer 3D-Technologie zur Dokumentation von Architektur und Relief ist das Naga-Projekt ein Modellfall aktueller Archäologie.
UNESCO-Kulturerbe
In Naga finden wir ein einmaliges Ensemble vor. Eine Denkmallandschaft, die es zu bewahren gilt und die seit 2014 auch als UNESCO-Kulturerbe eingetragen ist. Jedes antike Gebäude, jede Ruine in Naga ist ein kulturhistorisches Denkmal und bedarf eines individuellen Konservierungskonzepts.
Seit den Beschreibungen durch die frühen Reisenden und den archäologischen Expeditionen von Richard Lepsius (1844) und James H. Breasted (1905-07) hat sich in Naga bis zu den ersten Ausgrabungen in den 1990er Jahren wenig verändert. Aber Naga ist kein unbewohnter Ort. Die Menschen, die in der Nähe der antiken Stadt leben, nutzen täglich den Brunnen im Zentrum von Naga, um Wasser für sich und ihre Tiere zu holen. Sie bilden einen integralen Bestandteil von Naga und sind fundamental für die archäologischen und restauratorischen Arbeiten, die ohne ihre Hilfe kaum möglich wären.
Ein restauratorisches Musterprojekt
Die archäologischen Ausgrabungen verändern den Zustand des Ortes. Auch die Konservierung und Restaurierung verändert den Ort und den Bestand an Gebäuden und Objekten. Jegliches Tun hinterlässt seine Spuren. Deshalb ist es entscheidend wichtig, im Vorfeld zu definieren, wie weit eine solche Veränderung gehen darf und sollte. Der Schutz der Objekte muss immer im Vordergrund stehen, die Veränderungen so gering wie möglich gehalten werden. Charakter und Authentizität der Denkmallandschaft müssen unbedingt bewahrt werden.
Durch die archäologischen Ausgrabungen kommen Gebäude und Artefakte zum Vorschein, Architektur wird mehr und mehr erkennbar. Wo vorher nur einige malerisch im Sand liegende Ruinenteile zu sehen waren, erschließen sich nun Strukturen von Wänden, umgefallene Säulen und Steinhaufen zusammengefallener ehemaliger Tempel. Andere Gebäude wie der Löwentempel und die Hathorkapelle waren nicht im Sand verborgen, sondern überdauerten die 2000 Jahre sehr gut. Lediglich die unteren Bereiche waren mit Sand bzw. Sediment bedeckt.
Durch die Konservierung und Restaurierung soll der Status quo des Ensembles sowie der einzelnen Bestandteile so weit wie möglich erhalten bleiben. Änderungen oder Ergänzungen des Bestandes erfolgen nur wenn unbedingt notwendig für den zukünftigen Erhalt der Objekte, z.B. zur Stabilisierung der Statik der Bauten.
Die Hathorkapelle
Besonders gut lässt sich dieses Konzept an der Restaurierung der Hathorkapelle erkennen.
Vor der Restaurierung lag der mittlere Architrav schief und die Basen der Säulen waren im Sand versunken. Nach der Restaurierung sind sie und zugrundeliegende Fundament gut zu erkennen. Zum Erhalt der Kapelle wurden mittels 3D-Scan generierter Daten einige der besonders stark geschädigten Kapitelle durch exakte Kopien ersetzt. Die Kopien zeigen den Ist-Zustand der Kapitelle bevor die schadhaften Originale abgebaut wurden; so konnte die Statik des Baus wiederhergestellt werden, ohne das neue Kapitelle rekonstruiert und moderne Additive eingefügt werden mussten.
Ein Team von Spezialisten
Das Restaurierungsteam von Naga gehört zu den spezialisiertesten – und seine Werkstatt zu den bestausgestatteten im Sudan.
Die oberen Bereiche des Gebäudes wurden abgebaut, geschädigte Teile behutsam ergänzt, das Gefüge mehrfach mittels Festigungsmittel und dafür konfektionierte Materialien stabilisiert und die Kapelle wiederaufgebaut. Parallel wurden alle Maßnahmen über die Jahre ausführlich dokumentiert und Zustand sowie Bauteile detailliert erfasst.
Nicht immer lässt sich ein Konzept in aller Konsequenz verfolgen. Ein flexibler Umgang mit dem Denkmal und den sich verändernden Gegebenheiten durch den Grabungsfortschritt ist unbedingt notwendig.
Konzeptionell sieht der Umgang mit dem historischen Bestand in Naga vor, Rekonstruktionen und Veränderungen am Gesamtbild, wie Schutzdächer, Hinweistafeln und Leitsysteme für Touristen etc. zu vermeiden und ungewünschte Veränderungen des Gesamtensembles minimal zu halten. Die Konservierungsarbeit umfasst das kleine Detail wie das große Ganze.
Die Konservierung und Restaurierung in Naga hat über nunmehr 25 Jahre gezeigt, wie ausschlaggebend eine sehr gute Zusammenarbeit der unterschiedlichen beteiligten Disziplinen aus Archäologie, Bauforschung, Vermessungstechnik, Restaurierung und Materialkunde ist. Die Kontinuität der Arbeiten und die beständige Weiterentwicklung der Methodik haben in diesem Bereich Maßstäbe gesetzt, nach denen sich inzwischen auch andere archäologische Grabungen im Sudan orientieren.
Live dabei - die Naga-Ausstellung
Naga - Die verschüttete Königsstadt. Mit Augen und Ohren: eine archäologische Reise in den Sudan im SMÄK München noch bis 22. Oktober 2023
Die aktuelle Sonderausstellung nimmt euch direkt zu den Grabungen vor Ort mit.
Über digitales Storytelling und dreidimensionale Soundscapes gewährt die Sonderausstellung tiefe Einblicke in die Forschungsarbeit vor Ort und kombiniert analoge Ausstellungselemente mit Klanglandschaften, die die Besuchenden über Bewegung selbst auslösen. Eine sinnliche Reise in die Vergangenheit für das Museumserlebnis von morgen.
Naga-Tag im SMÄK
Veranstaltungstipp: am Naga-Tag (externer Link, öffnet neues Fenster) am 7. Oktober 2023 berichtet das Team von 10 bis 18 Uhr über den neuesten Stand des Projekts und gibt authentische Einblicke in die Grabungs- und Restaurierungsarbeiten vor Ort. Darüber hinaus berichten Forschende anderer Institutionen von ihren aktuellen Arbeiten und deren Bezug zu Naga.
Naga in München
Auch nach der Ausstellung bleibt ein Raum im Museum dem Thema “Nubien und antiker Sudan” und dem Naga-Projekt gewidmet. Damit bekommt Naga eine “ständige Vertretung” im SMÄK. Zu den Leihgaben gehören u.a. die Statue der Göttin Isis (externer Link, öffnet neues Fenster), die Stele der Königin Amanishakheto (externer Link, öffnet neues Fenster) sowie Putzfragmente mit Malerei (externer Link, öffnet neues Fenster) aus dem Amuntempel von Naga. Mehr Infos auf der Website. (externer Link, öffnet neues Fenster)